Umgang mit Geflüchteten
„Grauenvoll“: DIW-Präsident kritisiert Willkommenskultur in Deutschland
VonJana Stäbenerschließen
Marcel Fratzscher ärgert sich, dass Deutschland über Bezahlkarten für Geflüchtete diskutiert. Damit senden wir ein falsches Signal, findet er.
Die Bezahlkarte für Geflüchtete in Deutschland kann kommen – da sind sich Ampelparteien (SPD, Grüne, FDP) und Teile der Opposition einig. Nur zur Frage, ob es eine bundesweit einheitliche gesetzliche Regelung geben soll, gibt es weiterhin Diskussionsbedarf. Grünen-Parteichefin Ricarda Lang etwa ist der Meinung, es gebe bereits alle rechtlichen Möglichkeiten für eine Bezahlkarte. Eine bundesgesetzliche Regelung sei nicht nötig.
Das sehen viele Politikerinnen und Politiker der SPD und der FDP anders, und drängen auf eine einheitliche Lösung. CDU-Chef Friedrich Merz ruft die Koalition zur Einigkeit auf. Man wolle schließlich die irreguläre Migration eindämmen, sagt er. „Solange der Magnet Deutschland nicht abgeschaltet wird, werden wir hier das Problem in Deutschland nicht lösen.“
Magnet Deutschland? Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher würde nicht nach Deutschland einwandern, wenn er sich für ein Land entscheiden müsste. „Deutschland hat keine gute Willkommenskultur“, sagt Fratzscher im Interview mit BuzzFeed News Deutschland, einem Portal von IPPEN.MEDIA.
DIW-Präsident: Diskussion um Bezahlkarte lässt falschen Eindruck entstehen
Als Beispiel nennt er „die grauenvolle Diskussion um die Bezahlkarte“. Sie lasse den Eindruck entstehen, Menschen kämen nur wegen der Sozialleistungen zu uns, was mehrere Studien widerlegen könnten. „Personen, die verzweifelt sind, die Schutz suchen, kommen zu uns, egal wie hoch die Sozialleistungen sind“, sagt Fratzscher. Das Thema hat Symbolcharakter – und schreckt womöglich auch Menschen ab, die nicht als Geflüchtete nach Deutschland kommen, glaubt Fratzscher. „Das Einzige, das wir mit der Bezahlkarte bewirken, ist, dass die IT-Programmiererin aus Indien oder der Ingenieur aus Brasilien sagen: ‚Das tue ich mir nicht an. Ich gehe lieber dahin, wo ich als Mensch ordentlich behandelt werde.‘“
Ganz davon abgesehen sei es falsch, dass sich Politiker nur um Fachkräfte bemühen, kritisiert der Ökonom. Experten sprechen von 1,5 Millionen Zuzügen, die Deutschland bräuchte, um den Arbeitskräftemangel zu beheben. „Wir haben aktuell zwei Millionen offene Stellen in Deutschland und das betrifft alle Branchen. Dafür brauchen wir hoch-, gering- und nicht qualifizierte Beschäftigte.“
Personen, die verzweifelt sind, die Schutz suchen, kommen zu uns, egal wie hoch die Sozialleistungen sind.
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Fratzscher über Zuwanderung und Integration: „Das Problem liegt nicht bei denen, sondern bei uns“
„Der Schlüssel ist nicht die Qualifikation, sondern wie sich die Menschen in den Arbeitsmarkt integrieren“, so Fratzscher. „Wir haben viele Zuwanderer, die sich nicht integrieren. Das Problem liegt nicht bei denen, sondern bei uns.“ Das „restriktive“ Fachkräfteeinwanderungsgesetz der Bundesregierung helfe da nicht. „Warum müssen Zuwanderer Deutsch können, mindestens 41.000 Euro im Jahr verdienen oder einen Master-Abschluss haben?“, fragt der Ökonom.
„Es ist besser, es kommen zehn Prozent mehr Menschen zu uns und alle davon haben Chancen Arbeit zu finden, als wenn zehn Prozent weniger zuwandern und die sich nicht integrieren.“ Die meisten Menschen, die nach Deutschland einwanderten, seien zwischen 20 und 30 Jahren alt. „Auch mit geringen Qualifikationen sind sie eine riesige Chance, weil sie noch ein langes Berufsleben vor sich haben“, so Fratzscher. Diesen Menschen könnte und müsse Deutschland Perspektiven bieten.
Zum Beispiel, indem das Ausbildungssystem flexibler werde. „Statt zuerst einen Sprachkurs und eine Zusatzqualifikation zu verlangen, sollten wir Geflüchteten direkt eine Stelle oder einen Ausbildungsplatz vermitteln“, fordert Fratzscher.
Menschen mit geringen Qualifikationen sind eine riesige Chance.
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