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Angst vor „Eskalation“ mit Putin: Friedensnobelpreisträgerin hat Verständnis – warnt aber vor „Katastrophe“

  • Florian Naumann
    VonFlorian Naumann
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Die Ukraine bemüht sich weiterhin um Hilfe gegen Russland. Friedensnobelpreisträgerin Matwijtschuk warnt vor falschen Annahmen: In den besetzten Gebieten sei „Terror“ an der Tagesordnung.

München – Erst am Freitagabend hat Kanzler Olaf Scholz (SPD) bekräftigt: Deutschland wird Kiew im Ukraine-Krieg keine Taurus-Marschflugkörper senden. Der mehr oder weniger deutlich ausgesprochene Hintergrund ist die Sorge vor einer Eskalation mit der Atommacht Russland. Die ukrainische Friedensnobelpreis-Trägerin Oleksandra Matwijtschuk hat im Gespräch mit IPPEN.MEDIA nun Verständnis für diese Haltung gezeigt – zugleich warnte sie aber eindringlich: Bei ausbleibender Unterstützung für die Ukraine drohe eine „Katastrophe“ für die gesamte Welt.

Sorge vor atomarer Eskalation: „Ich habe Empathie – sie wollen nicht die Realität akzeptieren“

„Ich habe Empathie mit diesen Menschen“, sagte Matwijtschuk in dem Interview am Samstag (21. September) mit Blick auf Scholz‘ Haltung, aber auch allgemeine Sorge in Deutschland. „Denn sie wollen nicht die Realität akzeptieren, dass die Weltordnung, wie wir sie kannten, am Ende ist.“ Das gesamte System von Frieden und Sicherheit der Vereinten Nationen „kollabiert vor unseren Augen“, fügte sie hinzu. Bisher sei das etwa in Syrien, Myanmar oder Afghanistan zu spüren gewesen – mit dem Ukraine-Krieg nun auch in Europa.

Russland hat mit Konsequenzen gedroht, sollten US-Langstreckenraketen in Deutschland stationiert werden.

Russlands Präsident Wladimir Putin komme bislang „ungestraft“ davon, betonte sie. Und das beobachteten autoritäre Staaten wie China, Iran oder Nordkorea genau. Sie könnten ebenfalls entscheiden, ihre geopolitischen Ziele mit Gewalt zu erreichen, warnte Matwijtschuk: „Wenn wir heute Angst haben, die Komfortzone zu verlassen, erwartet uns morgen die Katastrophe.“

Streit um Taurus im Ukraine-Krieg: Nobelpreis-Trägerin rechnet mit Lieferung – „aber die Zeit drängt“

Die Ukraine erlebe bei Bitten nach Waffen stets dasselbe Szenario, erklärte die Menschenrechtsanwältin: Auch bei modernen Panzern oder F16-Kampfjets habe es zunächst eine „scharfe Debatte“ gegeben, bevor diese Mittel doch geliefert wurden. „Insofern bin ich sicher, dass diese Entscheidung geändert werden wird“, sagte Matwijtschuk mit Blick auf die umstrittene Taurus-Lieferung oder Erlaubnis, westliche Waffen gegen Ziele tiefer in Russland einzusetzen: „Aber die Zeit drängt.“

Oleksandra Matwijtschuk (Archivbild).

„Das Problem ist, dass die Menschen in der Ukraine Zeit sehr anders wahrnehmen, als die Menschen in Deutschland oder Frankreich“, erläuterte sie. „Denn in einem Krieg, für uns, wird Zeit in zahllose Tode umgesetzt.“ Jeder Tag Verzögerung habe unzählige Tode auf den Schlachtfeldern, im Hinterland und in den besetzten Gebieten zur Folge. „Politiker können diese Verzögerungen mit der Sorge vor einer Eskalation erklären. Aber Russland hat bereits alle roten Linien überschritten.“

„Frieden“ mit Putins Russland? „Eine Besetzung verringert kein Leid, sie macht es nur unsichtbar“

Matwijtschuk warnte im Gespräch mit IPPEN.MEDIA zugleich vor der Annahme, ein diplomatischer Kompromiss mit Russland bedeute Frieden. Moskau habe im Ringen um Kontrolle über die besetzten Gebiete Terror gegen Zivilisten etabliert. „Die Russen haben bewusst eine aktive lokale Minderheit ausgelöscht; etwa Journalisten, Bürgermeister, Freiwillige, Geistliche, Lehrer. Sie bringen ukrainische Kinder nach Russland, um sie ‚russisch‘ erziehen zu lassen.“

Russland feuert Raketen auf Kinderkrankenhaus in Kiew: Fotos zeigen erschütternde Szenen

Rauch über Kiew. Die ukrainische Hauptstadt wurde am Montag von mehreren russischen Raketen getroffen.
Rauch über Kiew. Die ukrainische Hauptstadt wurde am Montag von mehreren russischen Raketen getroffen. © Evgeniy Maloletka / dpa
Die Schäden nach dem russischen Angriff auf Kiew sind beachtlich, wie hier zu sehen im Lukianivska Bezirk.
Die Schäden nach dem russischen Angriff auf Kiew sind beachtlich, wie hier zu sehen im Lukianivska Bezirk. © Andreas Stroh / dpa
Das Okhmatdyt-Kinderkrankenhaus in Kiew wurde durch die russischen Raketen schwer getroffen.
Das Okhmatdyt-Kinderkrankenhaus in Kiew wurde durch die russischen Raketen schwer getroffen. Rettungskräfte und Zivilisten suchen nach möglichen Verschütteten. © Evgeniy Maloletka / dpa
Ein augenscheinlich verletzter Mann telefoniert nach dem schweren Angriff auf Kiew.
Ein augenscheinlich verletzter Mann telefoniert nach dem schweren Angriff auf Kiew. © dpa/AP | Efrem Lukatsky
Eine Frau kümmert sich um ein Kind vor dem von russischen Raketen getroffenen Okhmatdyt-Kinderkrankenhaus in Kiew.
Eine Frau kümmert sich um ein Kind vor dem von russischen Raketen getroffenen Okhmatdyt-Kinderkrankenhaus in Kiew. © Evgeniy Maloletka / dpa
Ein Blick in das Kinderkrankenhaus zeigt, wie schwer die Raketen aus Russland die Klinik in der Ukraine verwüstet haben.
Ein Blick in das Kinderkrankenhaus zeigt, wie schwer die Raketen aus Russland die Klinik in der Ukraine verwüstet haben. © Evgeniy Maloletka / dpa
Mit blutigem Gewand steht ein Krankenhaus-Mitarbeiter vor den Trümmern nach dem russischen Raketenangriff auf Kiew.
Mit blutigem Gewand steht ein Krankenhaus-Mitarbeiter vor den Trümmern nach dem russischen Raketenangriff auf Kiew. © IMAGO/Madeleine Kelly/ZUMA Press Wire
Rettungskräfte räumen die Trümmer nach dem schweren russischen Angriff auf Kiew vor der Kinderklinik.
Rettungskräfte räumen die Trümmer nach dem schweren russischen Angriff auf Kiew vor der Kinderklinik. © Evgeniy Maloletka / dpa
In der nähe des von einer Rakete getroffenen Okhmatdyt-Kinderkrankenhauses trägt ein Mann ein Kind aus der Gefahrenzone.
In der nähe des von einer Rakete getroffenen Okhmatdyt-Kinderkrankenhauses trägt ein Mann ein Kind aus der Gefahrenzone. © Evgeniy Maloletka / dpa
Nach dem schweren russischen Angriff auf die ukrainische Hauptstadt werden verletzte abtransportiert.
Nach dem schweren russischen Angriff auf die ukrainische Hauptstadt werden Verletzte abtransportiert. © IMAGO/Madeleine Kelly/ZUMA Press Wire
Kinder warten in der Nähe des Okhmatdyt-Kinderkrankenhauses, das von russischen Raketen getroffen wurde.
Kinder warten in der Nähe des Okhmatdyt-Kinderkrankenhauses, das von russischen Raketen getroffen wurde. © Evgeniy Maloletka / dpa
Vereinte Kräfte bei den Bergungsarbeiten: Retter tragen ein Stück des Daches am Okhmatdyt-Kinderkrankenhaus in Kiew weg.
Vereinte Kräfte bei den Bergungsarbeiten: Retter tragen ein Stück des Daches am Okhmatdyt-Kinderkrankenhaus in Kiew weg. © Evgeniy Maloletka / dpa
Ein Feuerwehrmann sitzt bei Rettungsarbeiten in Kiew nach dem schweren russischen Angriff im Schutt.
Ein Feuerwehrmann sitzt bei Rettungsarbeiten in Kiew nach dem schweren russischen Angriff im Schutt. © Aleksandr Gusev / dpa
Auch am Tag nach dem russischen Raketenangriff auf ein Kinderkrankenhaus in Kiew gehen die Aufräumarbeiten weiter.
Auch am Tag nach dem russischen Raketenangriff auf ein Kinderkrankenhaus in Kiew gehen die Aufräumarbeiten weiter. © IMAGO/Maxym MarusenkoNurPhoto
Nach dem russischen Angriff auf das Kinderkrankenhaus mussten die schwer kranken Kinder draußen vor der Klinik behandelt werden.
Nach dem russischen Angriff auf das Kinderkrankenhaus mussten die schwer kranken Kinder draußen vor der Klinik behandelt werden. © IMAGO/Maxym Marusenko/NurPhoto
In Kiew stehen Krankenhaus-Betten auf der Straße, um nach dem Angriff auf die Kinderklinik die Patienten weiter betreuen zu können.
In Kiew stehen Krankenhaus-Betten auf der Straße, um nach dem Angriff auf die Kinderklinik die Patienten weiter betreuen zu können. © IMAGO/Bahmut Pavlo/Ukrinform/Abaca
Ein Blick in das Kinderkrankenhaus in Kiew zeigt, wie schwer die russischen Raketen die Klinik zerstört haben.
Ein Blick in das Kinderkrankenhaus in Kiew zeigt, wie schwer die russischen Raketen die Klinik zerstört haben. © IMAGO/Ruslan Kaniuka/Ukrinform/ABACA
Medizinisches Personal und Freiwillige räumen Trümmer, suchen unter dem Schutt des Kinderkrankenhauses nach Opfern.
Medizinisches Personal und Freiwillige räumen Trümmer, suchen unter dem Schutt des Kinderkrankenhauses nach Opfern. © Anton Shtuka / dpa
Verzweiflung herrscht in Kiew. Nach dem Angriff auf die Kinderklinik suchen Erwachsene und Kinder Schutz in Kellern.
Verzweiflung herrscht in Kiew. Nach dem Angriff auf die Kinderklinik suchen Erwachsene und Kinder Schutz in Kellern. © Anton Shtuka / dpa

Die Bevölkerung dort lebe in einer Grauzone ohne Schutz und rechtliche Mittel. „Um es klar zu sagen: Eine Besetzung verringert nicht menschliches Leid, sie macht es nur unsichtbar“, betonte Matwijtschuk. Auch deshalb sei ein klares Ziel nötig: Ein Sieg der Ukraine über den Aggressor Russland. „Wir brauchen eine gemeinsame Strategie – und wir können keine Strategie mit unseren internationalen Partnern haben, wenn wir kein gemeinsames Ziel definiert haben“, warnte sie.

Matwijtschuk hatte 2022 den Friedensnobelpreis als Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation Center for Civil Liberties (CCL) erhalten. Das CCL dokumentierte unter anderem Menschenrechtsverletzungen bei der Niederschlagung der Euromaidan-Proteste und später russische Kriegsverbrechen in besetzten Gebieten. Die 40-Jährige betonte am Samstag indes auch, die Ukraine sei „sehr dankbar“ für die Unterstützung aus Deutschland: „Das hilft uns, zu überleben.“ (fn)

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