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AfD auch ein „Erpressungsinstrument“: Politologe erklärt den Höhenflug - und zwei Gegenmittel
VonStephanie Munk
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Die AfD ist im Umfrage-Hoch, in Thüringen landet sie auf Platz 1, bundesweit auf Platz 2. Ein Parteienforscher sieht jetzt auch die CDU am Zug.
Erfurt/Berlin - Die AfD scheint auf einem Höhenflug zu sein: Seit einigen Tagen stellt sie in Thüringen ihren ersten Landrat, in Sachsen-Anhalt den ersten hauptamtlichen Bürgermeister. Weiteren Aufwind bekommen die Rechtspopulisten durch eine neue MDR-Umfrage, die besagt: Jeder Dritte in Thüringen würde derzeit die AfD wählen. Die Partei kommt laut „Thüringentrend“ auf 34 Prozent. Bundesweit erreicht die AfD laut einer Umfrage 21 Prozent - und landet damit auf Platz zwei hinter der CDU mit ihren 25,5 Prozent.
Wer sind die Menschen, die derzeit die AfD wählen würden: Von der Ampel-Politik enttäuschte Protestwähler oder Menschen, die wirklich die AfD - in Thüringen vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft - an der Macht sehen wollen? Laut Politikwissenschaftler Jürgen Falter von der Universität Mainz trifft wohl beides zu.
Umfrage-Hoch: „AfD hat ansehnliche Stammwählerschaft rekrutiert“
„Der AfD ist es gelungen, im Laufe der Jahre eine ansehnliche Stammwählerschaft zu rekrutieren“, sagt der Parteienforscher im Gespräch mit FR.de von IPPEN.MEDIA. Laut Schätzungen von Wahlforschern sei das wohl ein Drittel der derzeitigen Anhänger. Bis zu zwei Drittel der AfD-Anhänger seien aber auch einfach „unzufrieden mit dem Gang der Dinge“. Eine Rolle spiele hier allen voran wohl der gefühlte Anschlag auf Gas- und Ölheizungen sowie das Thema Migration.
Höhenflug der AfD: Protestwahl als einziger Weg der politischen Einflussnahme?
Falter verweist auf die politikwissenschaftliche These vom „rationalen Protestwähler“. Dieser wolle eine Änderung der aktuellen Regierungspolitik bewirken, indem er den herrschenden Parteien einen Denkzettel verpasst. „Es handelt sich dabei um Menschen, die nicht unbedingt die AfD an der Macht sehen möchten, sondern eine grundlegende Änderung der Politik herbeiführen wollen und dazu die Wahl der AfD als eine Art Erpressungsinstrument benutzen“, erklärt der Politologe.
Die Union und Ampel-Parteien überziehen sich unterdessen gegenseitig mit Schuldzuweisungen zum aktuellen Höhenflug der AfD. Die Union schiebt die Verantwortung dabei auch der Scholz-Regierung zu. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sagte am Montag (2. Juli) zu den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: „Die Menschen sind verstört, wie Politik gemacht wird in Deutschland.“ Er nannte als Beispiele die Energiewende, das Heizungsgesetz, die Flüchtlingspolitik und die Russland-Sanktionen.
AfD-Themen nicht zum Tabu erklären - und Protestwähler-Anliegen „energischer diskutieren“
Auch Politologe Falter glaubt: „Einige der Probleme, die den rationalen Protestwählern unter den AfD-Anhängern auf den Nägeln brennen, könnten von den Parteien der Mitte energischer diskutiert werden.“ Zudem sollten andere Parteien die von der AfD besetzte Themen nicht zum Tabu erklären. „Sie sollten sich in der Wahl der Themen und ihren Lösungsvorschlägen nicht davon abhängig machen, was die AfD sagt.“
Zugleich wirke die Politik der Ampel-Koalition auf viele Außenstehende nicht kohärent und nachvollziehbar: „Die Ampel hat das innere Problem, dass ihr mit der FDP und den Grünen zwei Parteien angehören, die nicht kompatibel sind“, urteilt der Politikwissenschaftler. Das führe immer wieder zu „koalitionsinternen Friktionen“, die ein schlechtes Bild abgeben.
Dauer-Streit der Ampel eine Ursache für AfD-Höhenflug?
Ähnliche Kritik kommt von Politikern der Ampel-Parteien selbst: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) forderte die Ampel-Koalition auf, ihren Regierungsstil angesichts des Umfrage-Hochs der AfD zu ändern. „Der tiefere Grund für diese Entwicklung ist nicht das Heizungsgesetz, sondern das öffentliche Auftreten der ‚Ampel‚“, sagte Kretschmann der Augsburger Allgemeinen. „Die Ampel muss den öffentlichen Streit eindämmen und Kontroversen intern beilegen“, forderte er.
Die Union sei für viele AfD-Wähler derzeit aber ebenfalls keine glaubwürdige Alternative, meint Parteienforscher Falter. Sie wirke gerade in der Migrations-Frage selbst gespalten und habe zudem mit dem Erbe der langen Merkel-Jahre zu kämpfen. In Thüringen landet die CDU derzeit mit 21 Prozent Zustimmung auf Platz 2 hinter der AfD.
AfD sieht blaue Welle kommen - Gauland mahnt zur Vorsicht
Die AfD jubiliert derzeit angesichts ihres Umfragehochs. „Das ist erst der Anfang“, erklärte Bundeschefin Alice Weidel am Sonntag. Sogar einen Kanzlerkandidaten will die AfD für die kommenden Bundestagswahlen stellen.
Nach Ansicht ihres Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland sind die aktuell guten Umfragewerte der AfD jedoch mit Vorsicht zu genießen. Die Zustimmung in der Bevölkerung sei nicht in erster Linie Verdienst der AfD, „sie verdankt sich den Fehlern der anderen“, sagte Gauland der Zeit. „Man muss jetzt realistisch bleiben“, fügte er hinzu.
Gauland warnte seine Partei davor, angesichts des Umfragen-Höhenflugs unvorsichtig zu werden. Auch eine Kanzlerkandidatur der AfD hält Gauland für „nicht realistisch“.
Die AfD-Spitze im Wandel der Zeit: von Bernd Lucke bis Alice Weidel
Verfassungsrechtler Franz C. Mayer hat im Interview mit IPPEN.MEDIA über den Höhenflug der AfD gesprochen und erläutert, wie Landesregierungen die Demokratie angreifen können. (smu mit Material von AFP und dpa)