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Rechter EU-Machtpoker ohne AfD: Le Pen, Meloni und Orbán loten neue Bündnisse aus
VonKilian Beck
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Der Machtpoker beginnt und die AfD ist vorerst außen vor. Ihre ehemalige ID-Fraktion um Le Pen, Wilders und die FPÖ hat scheinbar große Pläne – mit Orbán.
Brüssel – Im demokratischen Lager läuft die Fraktionsbildung im EU-Parlament nach der Europawahl gewohnt geräuschlos, die Fraktionen bleiben in etwa dieselben, wie in der abgelaufenen Legislaturperiode. Bewegung herrscht hingegen noch bei den Rechtsaußenparteien. Die großen drei am rechten Rand der Union, Marine Le Pen aus Frankreich, Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und der ungarische Autokrat Viktor Orbán loteten bereits kurz nach der Wahl ihre Optionen für unterschiedlich radikale Bündnisse aus. Welche Möglichkeiten hätten sie, worüber streiten die Rechten, und wo sortieren sich AfD und FPÖ ein? Ein Überblick.
Beim Besuch bei Viktor Orbán durfte Le Pen sich bereits 2021 als Staatsgästin fühlen. Sitzen ihre zwei Rechtsaußen-Parteien bald in derselben Fraktion? (Archivbild)
Die zentrale, demokratiepolitische Entscheidung treffen hierbei Meloni und der Chef der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber (CSU). Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) sprach vor der Wahl von einem „Angebot“, dass sie Meloni machen wolle. Damals war noch unklar, mit wessen Stimmen sie wieder an die Spitze der Kommission gewählt werden könnte. Inzwischen wird deutlich: Es gäbe eine klare Mehrheit im demokratischen Lager des Parlaments aus Konservativen, Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen. EVP-Chef Weber verteidigte am Freitag (14. Juni) im Gespräch mit Spiegel weiterhin die Machtoption Meloni als „pragmatisch“, trotz Angriffen der italienischen Regierungschefin auf die liberale Verfassungsordnung ihres Landes.
Melonis Entscheidung: EU-Bündnis mit den Konservativen oder mit Orbán und Le Pen
Sollte diese Zusammenarbeit zustande kommen, so wäre für Meloni ein breiteres rechtsradikales Bündnis mit Orbán, Le Pen und anderen Antiliberalen wohl ausgeschlossen, erklärte Nicolai von Ondarza, EU-Politikexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik, im IPPEN.MEDIA-Gespräch. Eine Fraktion, in der Orbáns Partei Fidesz oder Le Pens Rassemblement National säßen, sei für die Konservativen zu „toxisch“, so von Ondarza. Bisher zeichnete sich keine Kursänderung Melonis ab, deren Partei „Fratelli d‘Italia“ sitzt aktuell noch in der nationalkonservativen Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), der auch die polnische PiS und die offen rechtsradikale spanische Partei Vox angehören.
Aktuell bestehen zwei Fraktionen am rechten Rand des Europarlaments: die EKR und die Fraktion „Identität und Demokratie“ (ID). Beide wollen mehr Abschottung gegen Migration, weniger Eingriffe der EU in die Nationalstaaten und haben ein grundsätzliches Problem mit liberalen Werte, wie individueller Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Hauptunterschied sei, so von Ondarza, dass die ID „deutlich radikaler“ sei.
EKR und ID bleiben nach Europawahl vorerst bestehen – Wer paktiert mit Orbán?
Sowohl EKR als auch ID trafen sich nach der Wahl jeweils zu ersten Gesprächen zwischen den Parteien und scheinen fortzubestehen. Sollte es zu einem Bündnis zwischen beiden Fraktionen kommen, so kündigte Viktor Orbán an, sich diesem anzuschließen. Das könnte allerdings vor allem am Streit um das Verhältnis zu Russland zwischen der ID und der EKR scheitern. Und die ID wirft offenbar selbst ein Auge auf Orbáns Delegation in Brüssel.
Machtverschiebung in der ID: Lega verliert massiv – Le Pens Leute dominieren die Fraktion
Die ID-Fraktion wurde in der vergangenen Legislaturperiode geführt von der italienischen Lega, der Partei Matteo Salvinis, mit dem Meloni in Italien koaliert. Die Lega stellte 22 der 49 Abgeordneten. Die zweitstärkste Delegation stellte der Rassemblement National. Nach der Europawahl kehrte sich dieses Kräfteverhältnis um: Die Lega verlor in Italien massiv an Melonis Partei, sie stellt nun noch vier Abgeordnete. Und der Rassemblement National gewann mit einem Rekordergebnis in Frankreich und dominiert die Fraktion jetzt mit 30 Abgeordneten. Wichtige, aber deutlich kleinere Delegationen sind die jeweils sechs Abgeordneten der österreichischen FPÖ und der niederländischen PVV von Geert Wilders.
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AfD-Ausschluss würde Bündnis zwischen ID und EKR vereinfachen – Wäre da nicht der Russlandstreit?
Noch vor der Wahl wurde die AfD wegen Maximilian Krahs Relativierung der Nazi-Verbrecherorganisation SS aus der ID ausgeschlossen. Und auch nachdem die ursprünglich 15-köpfige AfD-Delegation mit knapper Mehrheit ihren Spitzenkandidaten Krah ausgeschlossen hatte, sieht es nicht danach aus, als dürfe die AfD in die ID-Fraktion zurückkehren, die sie einst mitbegründete. Die FPÖ und ein estnischer Abgeordneter stimmten dagegen.
Für ein Bündnis zwischen EKR, ID und Orbán spräche, dass mit der AfD eine der radikalsten Rechtsaußen-Parteien Europas bereits ausgeschlossen wäre. Damit wäre auch das Problem, der antideutschen Ressentiments in der polnischen PiS, der zweitstärksten Kraft in der EKR aus dem Weg. Schwer gegen ein solches Bündnis spräche, dass sowohl die PiS, als auch Meloni, die Mehrheit der Fraktion für die Unterstützung der Ukraine sind. Während Orbán diese immer wieder zu sabotieren droht, und Le Pen seit Jahren offen dafür argumentiert, dass die Ukraine mindestens die seit 2014 besetze Halbinsel Krim an Russland abtreten solle.
„Neue Fraktion“ – Planen Le Pen, Salvini und die FPÖ das Bündnis mit Orbán?
Das erste ID-Treffen der Legislatur, auf dem Le Pen, Salvini, Wilders, der FPÖ-Spitzenkandidat Harald Vilimsky und andere Rechtsradikale zusammenkamen, fand am Mittwoch (12. Juni) statt. Das US-Portal Politico berichtete, unter Berufung auf am Buffet liegen gelassene Notizen, die ID wolle „Druck“ auf die EKR-Fraktion ausüben und „Im Block“ mit „den Ungarn“ arbeiten. Aus Ungarn kämen, die zehn fraktionslosen Fidesz-Abgeordneten sowie ein einzelner Abgeordnete der militant rechtsextremen Partei „Unsere Heimat“ in Betracht. FPÖ-Mann Vilimsky sprach sich nach dem knappen Wahlsieg seiner Partei für ein Bündnis mit Orbán aus. Orbáns Name finde sich in den Notizen mit dem Zusatz „neue Fraktion“. Wer diese Fraktion gründen solle, blieb allerdings unklar.
AfD erst „nach den Wahlen in Frankreich wieder Thema“ – Greift Krahs „Plan B“?
Auch zur Zukunft der AfD gab es einen Hinweis: „Nach den Wahlen in Frankreich“, könne man sich innerhalb der ID wieder mit den Deutschen beschäftigen. Das passt zum Muster, dass Le Pen sich seit Jahresbeginn immer wieder von der AfD distanzierte, um sich in Frankreich bürgerlich geben zu können. Nun stehen Parlaments-Neuwahlen in Frankreich an und der Rassemblement National greift nach der Regierung, um Präsident Emmanuel Macron innenpolitisch zu entmachten.
Neben dem Abwarten in der Fraktionslosigkeit könnte die AfD noch versuchen, eine eigene radikalere Parlamentsfraktion zu gründen. Als „Plan B“ neben der ID präsentierte Krah weit vor der Wahl ein Bündnis mit mehreren osteuropäischen Parteien. Ideologisch einigendes Band, so Politico, könnte die Sofiaer Erklärung, ein von einigen dieser Parteien erarbeitetes Manifest, triefend von modernem Erlösungsantisemitismus sein. Ein solches Bündnis wäre von Parteien durchsetzt, die mit militanten Rechtsextremisten zusammenarbeiteten, und könnte „Vera Europa“ (lat. für „Wahres Europa“) heißen. Sollten die Lager am rechten Rand erhalten bleiben, müsste die AfD unter den fraktionslosen Rechten insgesamt 25 Abgeordnete aus sieben Mitgliedsstaaten zur Mitarbeit bei der Gründung bewegen. (kb)