Ukraine-Krieg

Grünen-Außenpolitikerin Düring: „Die Ukraine braucht so viele geeignete Waffen wie möglich“

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Die Grünen-Abgeordnete Deborah Düring über den Ukraine-Krieg, neue Waffenlieferungen und die großen Gewinne der Rüstungsindustrie.

Berlin/Frankfurt – Die Taurus-Debatte steht sinnbildlich für das Ringen der Bundesregierung um das richtige Maß an militärischer Unterstützung für die Ukraine, die sich seit mehr als zwei Jahren des völkerrechtswidrigen Angriffs Russlands erwehrt. Die außenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Deborah Düring, spricht sich im Interview klar für die Lieferung der Marschflugkörper aus, nennt die Schuldenbremse ein „Sicherheitsrisiko“ für Deutschland und schildert ihre eigenen Eindrücke aus dem Kriegsgebiet.

Frau Düring, wie schätzen Sie die aktuelle Lage im Ukraine-Krieg ein?
Die Lage in der Ukraine ist hochdramatisch. Weite Teile der Frontlinie sind vermint. Russland will die Ukraine auslöschen und schreckt daher auch nicht davor zurück, zivile Infrastruktur wie Krankenhäuser anzugreifen. Gleichzeitig fehlt es der Ukraine an ausreichendem Gerät und vor allem an Munition, um sich effektiv gegen die Angriffe verteidigen zu können. Dabei schützt das Land in diesem völkerrechtswidrigen Krieg auch uns und unsere Freiheit. Auch deshalb müssen wir die Ukraine weiter sowohl militärisch als auch zivil unterstützen, um Russland und anderen Autokratien deutlich klarzumachen: Grenzen dürfen in dieser Welt nicht mit Gewalt verschoben werden.

„Die Ukraine braucht weitreichende Waffensysteme wie das Taurus-System“

Leistet Deutschland aus Ihrer Sicht genug, um die Ukraine zu unterstützen?
Zum einen hat die Ukraine einen enormen Bedarf an Unterstützungsleistungen, zum anderen ist die Zerstörung durch Russland massiv. Daher ist die Ukraine sowohl auf unsere militärische als auch zivile Unterstützung für die Instandhaltung und den Wiederaufbau angewiesen. Denn wenn Straßen und Energieversorgung nicht mehr funktionieren und das gesellschaftliche Leben zusammenbricht, kann die Ukraine auch den Krieg nicht mehr weiterführen. Es ist deshalb gut, dass Deutschland der Ukraine umfassend Ressourcen zur Verfügung stellt. Dabei muss uns auch klar sein: Das wird etwas kosten. Was die militärische Hilfe angeht, haben wir Grüne eine klare Position: Die Ukraine braucht so viele geeignete Waffen und Munition wie möglich und das so schnell wie möglich.
Anders als der Kanzler ist Ihre Fraktion mehrheitlich für die Taurus-Lieferung.
Ja, die Ukraine braucht weitreichende Waffensysteme wie das Taurus-System, aber nicht als Selbstzweck, sondern aufgrund seiner Fähigkeiten. Denn damit kann die ukrainische Armee strategisch relevante Ziele aus großer Entfernung erreichen. Gleichzeitig bringen uns Debatten um einzelne Waffensysteme nicht weiter. Wir sollten viel mehr darauf schauen, welche Fähigkeiten braucht die Ukraine in ihrem Überlebenskampf. Wichtig ist vor allem, dass sowohl Munition als auch Waffenlieferungen möglichst schnell gehen müssen. Wir dürfen uns keine Verzögerungen mehr erlauben.
Wie blicken Sie auf die großen Gewinne der deutschen Rüstungsindustrie durch den Krieg?
Aufgrund der steigenden Konflikte in der Welt müssen wir anerkennen, dass wir neben mehr Prävention, humanitärer Hilfe und diplomatischen Fähigkeiten auch mehr Waffen und Rüstungsunternehmen, welche Waffen produzieren, brauchen. Wichtig ist dabei, dass wir die Verteidigungspolitik europäisch und europaweit effizient denken müssen. Das bedeutet beispielsweise, zu überlegen, wer kann welche Waffen am besten produzieren. Es muss auch klar sein, dass die Industrie vernünftige Preise macht und die Lage der Ukraine nicht ausnutzt. Das Beschaffungswesen der Bundeswehr zu reformieren, ist ein weiterer Punkt.

„Die Schuldenbremse ist für Deutschland ein Sicherheitsrisiko“

Für Sie als Grüne auch eine bittere Erkenntnis, dass die Produktion von Rüstung wieder wichtiger wird?
Natürlich würde ich mir eine Welt ohne Waffen wünschen und das ist auch immer noch mein Ziel. Aber die Ukraine braucht in diesem Überlebenskampf Waffen, um sich zu verteidigen, alles andere wäre naiv. Trotzdem nehme ich die sehr starken Gewinne der Rüstungsindustrie wahr und schaue auch mit Sorge auf die Monopolstellungen, die es in der Branche zum Teil gibt. Umso wichtiger sind hier Transparenz und faire Preise. Ein verantwortungsvoller Umgang mit einer Industrie, die gleichzeitig Leben rettet, aber auch kosten kann, ist unerlässlich. Wir müssen zum Beispiel diskutieren, ob die zusätzlichen Gewinne der Rüstungsindustrie abgeschöpft werden sollten und wie wir die Branche in Europa so gestalten, dass sie unseren Werten entsprechend arbeitet. Es mag paradox klingen, aber wenn die Ukraine den Angriff Russlands abwehren kann, kommen wir einer Welt ohne Kriege deutlicher näher.
Die Grünen-Abgeordnete Deborah Düring fordert mehr Unterstützung für die Ukraine.

Zur Person

Deborah Düring, 29, sitzt seit 2021 für die Grünen im Deutschen Bundestag. Seit Januar 2024 ist die Frankfurter Friedens- und Konfliktforscherin außenpolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion, zuvor war sie entwicklungspolitische Sprecherin.

Sie fordern, dass die Schuldenbremse für die Ukraine-Hilfe ausgesetzt wird.
Die Schuldenbremse ist für Deutschland ein Sicherheitsrisiko - und das nicht nur, wenn es um die Unterstützung der Ukraine geht. Auch für unsere Verteidigung, in Sachen Klimaschutz und Transformation der Wirtschaft sowie für mehr soziale Gerechtigkeit braucht es Investitionen. Gerade unsere eigene Sicherheit sollten wir nicht nur aus einer militärischen Perspektive betrachten. Kritische Infrastruktur, wie Krankenhäuser, die beispielsweise vor Cyberangriffen geschützt werden müssen, gibt es auch in Deutschland. Deshalb trete ich für eine grundsätzliche Reform der Schuldenbremse ein, die uns mehr finanziellen Spielraum bei wichtigen Zukunftsthemen gibt.
Sie haben die Ukraine im vergangenen Jahr selbst besucht. Wie waren Ihre persönlichen Eindrücke vom Krieg?
Der Widerstand der ukrainischen Bevölkerung gegen den Angriff Russlands hat mich tief beeindruckt. Die Menschen dort wollen sich ihre Freiheit von Putin nicht nehmen lassen. Deshalb bauen sie ihre zerstörten Häuser, Straßen und Stromleitungen zur Not auch zum dritten Mal wieder auf. ‚Wiederaufbau ist Widerstand‘, hat mir die stellvertretende Ministerin für Infrastruktur Oleksandra Azarkhina gesagt. Das ist für die Ukrainerinnen und Ukrainer auch eine Art Traumabewältigung. Gleichzeitig geht dort aber auch das normale Leben trotz des Krieges weiter. Die Leute sitzen in Cafés, arbeiten in Büros, die Kinder gehen zur Schule. Ich fand diese Resilienz unglaublich stark, dass die Menschen sagen, wir führen unser Leben weiter und lassen uns unsere Freiheit von Putin nicht nehmen. Und ich habe vor Ort eine riesige Dankbarkeit für die deutsche Unterstützung und Solidarität erfahren und gleichzeitig den Auftrag mitgenommen, dass wir nicht nachlassen dürfen!

Das Interview führte Niklas Hecht.

Rubriklistenbild: © Victor Martini

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