Betroffene beklagen Preisexplosion
Hanauer Fernwärme-Kunden sauer: Stadtwerke verlangen fast 800 Euro pro Monat
VonChristian Dauberschließen
Der Bezug von Fernwärme ist in Hanau ein teures Unterfangen geworden: Knapp 30 Cent verlangen die Stadtwerke mittlerweile pro Kilowattstunde.
Hanau - Was kostet es in Hanau, im Warmen zu sitzen? Unfassbar viel, ächzen Fernwärme-Kunden der Stadtwerke Hanau (SWH). Die Kosten sind explodiert, und auf Preissenkungen müssen die Betroffenen noch Monate warten. Fast 30 Cent pro Kilowattstunde werden in Hanau verlangt – so viel wie kaum woanders in Deutschland, wie eine Recherche auf Vergleichsportalen im Internet zeigt.
2020 betrug der sogenannte Arbeitspreis noch knapp sieben Cent. Mehrere Betroffene haben sich in den vergangenen Tagen in der Redaktion gemeldet. Mancher berichtet, er müsse unglaubliche 800 Euro berappen – für ein Einfamilienhaus, im Monat. Auch wer einen geringeren Verbrauch hat als dieser Leser, berichtet von doppelten oder dreifachen Kosten seit 1. Januar 2024.
So etwa Matthias Holtappels, der im Argonner Park in Großauheim mit seiner Familie eine Doppelhaushälfte bewohnt. „Statt bisher 230 Euro monatlich zahlen wir jetzt 588 Euro“, beklagt der Chirurg im Gespräch mit unserer Zeitung. Für Holtappels ein Unding, das er nicht hinnehmen will. Der Argonner Park befindet sich auf dem Areal der ehemaligen New-Argonner-Kaserne. Die einst von den US-Soldaten bewohnten Offiziershäuser und Doppelhäuser wurden von 2009 an saniert und fortan mit Fernwärme versorgt.
Fernwärme kostet in Hanau fast 30 Cent, in Großkrotzenburg nicht mal ein Drittel
Ein Anwohner des Gebiets Waldwiese, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, berichtet uns von ähnlichen Steigerungen, die seine Familie gewaltig treffe. In Gesprächen mit ebenfalls betroffenen Nachbarn habe er erfahren: Viele haben ihren Urlaub für dieses Jahr gestrichen.
Wieso sind die Preise so explodiert? Hintergrund ist der Wegfall der Energiepreisbremse, die ein Großteil der Steigerungen abgefangen hatte. Seitdem schlägt der zuvor gestiegene, hohe Arbeitspreis voll durch. Erst zum 1. Juni 2024 solle er „voraussichtlich wieder unter 20 Cent“ liegen, kündigten die SWH den Kunden Ende Januar an. Und das obwohl die Preise für Erdgas und Steinkohle wieder deutlich gesunken sind, wie die Stadtwerke in dem der Redaktion vorliegenden Schreiben selbst einräumen. Darin wird um Verständnis für die Situation geworben.
Dabei sind die Fernwärme-Abnehmer machtlos. Es gibt hier nur einen Anbieter: die SWH. Und die Wärmequelle zu wechseln, ist in vielen Fällen nicht erlaubt. Selbst wenn, ist das kein einfaches Unterfangen. Noch größer wird der Ärger, wenn man in die Nachbarschaft blickt: In Großkrotzenburg zahlt man seit Januar nur 8,8 Cent. Dabei kommt die Fernwärme dort aus derselben Quelle wie bei den meisten Hanauer Kunden: aus dem Kraftwerk Staudinger des Betreibers Uniper, einer Abspaltung des Eon-Konzerns.
Interessengemeinschaft macht mobil
Im Argonner Park hat sich jetzt eine Interessengemeinschaft gegründet. Matthias Holtappels und weitere Anwohner wollen gemeinsam gegen die hohen Preise kämpfen. Teil der Gruppe ist auch Thomas Eichhorn.
Der Jurist wohnt in der Kirschbaumallee, ist selbst betroffen und berät die Gruppe in rechtlicher Hinsicht. Die Forderung: Die Stadtwerke sollen die Preise wieder auf ein „erträgliches Maß“ bringen. „Wir hoffen auf eine gütliche Einigung“, erklärt Eichhorn. Der Anwalt wirft den SWH vor, die Preisänderungsklausel sei fehlerhaft. Bei der Berechnung des Arbeitspreises beachteten die SWH die Marktlage nicht hinreichend, sie stützten sich vorrangig auf ihre Kostenlage. Investitionen dürften jedoch nur über den Grundpreis, nicht über den Arbeitspreis gedeckt werden.
Zudem sei nicht nachvollziehbar, dass die SWH den Arbeitspreis nur einmal im Jahr festlege, jeweils zum 1. Juni. In Großkrotzenburg ist man flexibler: Die dortigen Gemeindewerke passen den Preis viermal im Jahr an. Senkungen wie zuletzt wirken sich so schneller beim Kunden aus. Eichhorn weist darauf hin, dass die Betroffenen bei der Fernwärme keine Wahl haben. Durch Fernwärmesatzungen wie in der Großauheimer Waldsiedlung und in Kesselstadt oder zwischen SWH und Investor geschlossene Verträge wie im Argonner-Park besteht ein Abnahmezwang.
Stadtwerke verteidigen Vorgehen
Ihm sei, so Eichhorn, ein Mandant bekannt, der gerne auf eine Wärmepumpe umsteigen würde – die Stadtwerke entließen ihn jedoch nicht aus seinem Vertrag. Dieser enthalte zwar Tatbestände, die das erlaubten – diese seien jedoch „sehr eng gestrickt“. Eichhorn versteht die Welt nicht mehr: „Überall wird die Anschaffung von Wärmepumpen propagiert. Und einer, der genau das machen möchte, wird bestraft“, ärgert sich der Jurist.
Er kämpfe weniger für sich selbst, betont Eichhorn. Denn der zehnjährige Abnahmezwang laufe bei ihm aus. Er habe schon eine Wärmepumpe gekauft. Ihm gehe es um die vielen anderen Betroffenen im Gebiet. Dort wohnt übrigens auch Prominenz: Oberbürgermeister Claus Kaminsky. Dass er sich der Interessengemeinschaft anschließt, dürfte eher unwahrscheinlich sein. Kaminsky ist auch Aufsichtsratsvorsitzender bei den Stadtwerken.
Dort beurteilt man die Problematik anders. Die Energiepreise seien in den Jahren 2022 und 2023 bundesweit erheblich gestiegen. Die vertraglich vereinbarte Preisanpassungsklausel erlaube eine Preisanpassung erst wieder zum 1. Juni, erklärt SWH-Sprecherin Karin Lotz. Dass Fernwärme momentan in Hanau bedeutend teurer ist als andernorts, weiß man bei den Stadtwerken und erwähnt, dass andere Anbieter ihre Preise wieder gesenkt hätten. Dass die SWH die Preise nur einmal jährlich anpassen, hätte in der Vergangenheit oft dafür gesorgt, dass die Preise in Hanau länger niedrig geblieben seien, während es woanders schon teurer wurde, verteidigt Lotz die Regelung.
Stadtwerke sehen „besondere Situation“ in Hanau
Die Preisänderungsklausel entspreche den rechtlichen Anforderungen. Die Marktlage werde berücksichtigt, Investitionen hingegen nicht. Mit Jurist Eichhorn befinde man sich im Austausch, „um mit ihm die unterschiedlichen Sichtweisen und Rechtsauffassungen zu erörtern“.
Die Sprecherin weist auf die „besondere Situation“ hin, in der sich Hanau befinde: Man sei zusätzlich durch die politisch unsichere Wärmeversorgung aus dem Block 5 des Kraftwerks Staudinger betroffen, so Lotz (siehe Kasten). Lotz verweist auch darauf, dass der überwiegende Teil der Fernwärmekunden freiwillig diese Energiequelle gewählt habe. „Bisher galt die Fernwärme in Hanau im bundesweiten Vergleich als äußerst attraktiv“, so Lotz. Es sei zu erwarten, dass die Preise „wieder stabiler werden“.
Holtappels und den vielen anderen Betroffenen hilft das momentan wenig. Sie hoffen darauf, dass die Stadtwerke einlenken und die Preise schnellstmöglich senken.
Von Christian Dauber
Versorgung über unterirdisches Rohrsystem
Als Fernwärme wird die Belieferung von Gebäuden mit Warmwasser und Heizwärme über ein unterirdisches Rohrleitungsnetz bezeichnet. Fernwärme lässt sich aus verschiedenen Brennstoffen und Wärmequellen erzeugen. Bei der Versorgung der Haushalte dient Heißwasser als Wärmeträger. Von der Hauptleitung wird dafür eine Hausanschlussleitung bis zum Gebäude des Endabnehmers gelegt. Die Häuser benötigen dann keine mit Brennstoffen befeuerten Heizungsanlagen mehr. Ein Fernwärmesystem funktioniert als geschlossener Kreislauf mit Vor- und Rücklauf. Ankommendes heißes Wasser wird zum Heizen und zur Warmwasserbereitung genutzt. Das abgekühlte Wasser wird anschließend wieder zurück ins Fernwärmenetz geleitet. Teile Hanaus werden laut Stadtwerken seit 1966 mit Fernwärme versorgt. Das Hanauer Netz ist insgesamt 72 Kilometer lang. Es gibt nach Angaben der Stadtwerke über 1200 Kundenstationen in Hanau. Damit sind jedoch nicht einzelne Verbraucher oder Haushalte gemeint, sondern teilweise auch Wohnanlagen und Unternehmen. Insgesamt bekommen rund 19 000 Menschen in Hanau Fernwärme geliefert. cd
Staudinger muss bald ersetzt werden
Aktuell wird ein Teil der Fernwärme im Kraftwerk Staudinger in Großkrotzenburg mithilfe von Kohle erzeugt. Ein weiterer Teil stamme aus eigenen Heizwerken, in denen Gas eingesetzt werde, erklärt Stadtwerke-Sprecherin Karin Lotz. Aufgrund des festgesetzten Verbots der Kohleverstromung werde perspektivisch die Fernwärme über Blockheizkraftwerke erzeugt. Derzeit entsteht in Sichtweite des Staudinger ein neues Gemeinschaftskraftwerk von Stadtwerken und des Frankfurter Energieerzeugers Mainova. Perspektivisch solle es „halb Hanau“ mit Fernwärme versorgen werden, hieß es beim Spatenstich im Juli vergangenen Jahres. Das neue Kraftwerk soll den Steinkohleblock 5 ersetzen und im Winter 2024/25 in Betrieb gehen. Bis 2040/2045 solle die Fernwärme auf klimaneutrale Erzeugung umgestellt werden, heißt es von den Stadtwerken. Beispielsweise soll perspektivisch die Abwärme des ebenfalls gerade entstehenden Rechenzentrums in der Nachbarschaft genutzt werden. cd
