Rede zum Tag der Deutschen Einheit
Wolfgang Schäuble zieht Publikum in Steinheim in seinen Bann
Dr. Wolfgang Schäuble war maßgeblich an der Aushandlung des Einigungsvertrags beteiligt. Zum Tag der Deutschen Einheit war der CDU-Bundespolitiker zu Gast in Steinheim.
Steinheim - Fast unbemerkt kam er in den Saal und positionierte sich in der ersten Stuhlreihe. Er bewegte seinen Rollstuhl mit gewohnt strenger Miene selbst dorthin, ließ sich von seinen Begleitern nicht schieben. Erst rund eine Stunde später, nach seiner Festrede zur Deutschen Einheit tobte für den ehemaligen Bundesinnenminister und langjährigen Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) der Applaus. Die gut 200 Besucher in der Steinheimer Kulturhalle gaben stehend energisch ihren Beifall. Die CDU Hanau hatte am Dienstag, dem Tag der Deutschen Einheit, zum „politischen Brunch“ geladen.
„Nein, die zwei Euro Eintritt sind ein Beitrag zum kalten Büffet. Wolfgang Schäuble wird ohne Honorar reden“, sagte Hildegard Geberth auf Anfrage dieser Zeitung. Die CDU-Stadtverordnete lockt seit rund 20 Jahren Politikprominenz ihrer Partei nach Hanau – wegen der günstigeren Saalmiete vorzugsweise in den Stadtteil Steinheim. „Als ich im Februar aus Berlin die Mitteilung erhielt, dass er kommt, konnte ich mein Glück kaum fassen“, sagte sie. Wird Alt-Kanzlerin Angela Merkel im nächsten Jahr kommen? Geberth schmunzelte und sprach geheimnisvoll drumherum.
Nun ja, erstmals saß ja der herbeigesehnte Schäuble in der Kulturhalle und konnte das Publikum, das zumeist die Wiedervereinigung vor 33 Jahren als reife Erwachsene miterlebte, in seinen Bann ziehen. Aufmerksam lauschte es den Worten des Mannes, der einer der Verhandlungsführer für den Einigungsvertrag war. Schäubles Ausführungen wurden mit stillem, zustimmendem Kopfnicken und kurzem Applaus wohlwollend aufgenommen.
Chronist mit der Perspektive eines Insiders
Mal brausten Lacher auf, wenn etwa der Festredner einer seiner Ausführungen in eine Pointe enden ließ. In der ansonsten vorherrschenden Konzentration im Saal gingen hin und wieder verstohlen Handys über die Köpfe hoch. Ein Foto von diesem Moment musste einfach sein.
Schäuble hing sich nicht in die alle Jahre mit diesem Feiertag aufkommende Debatte ein, in der von einer anhaltenden Ungleichheit zwischen Ost und West die Rede ist. Er gab sich auch keiner Wiedervereinigungssentimentalität oder Lobesorgie auf seinen damaligen Kanzler Helmut Kohl (CDU) hin. Schäuble zeigte sich als Chronist, der aus der Perspektive eines Insiders sprach, sich jedoch nicht unverhohlen intim über die Ost-West-Beziehung ausließ. Und den nicht-anwesenden Besserwissern, die nach seiner Meinung stets meinen, man hätte damals einiges anders machen müssen, um die heutigen Probleme mit Russland zu verhindern, denen warf er entgegen: „Leute, ihr habt keine Ahnung!“
Der 81-Jährige spannte seinen zeitlichen Bogen ab dem 17. Juni 1953, dem Volksaufstand in der DDR, um sich aus der Klammer des sozialistischen SED-Regimes zu befreien, was jedoch die Sowjetarmee brutal zu verhindern wurde. Zusehen sei für den Westen die alleinige Option gewesen, auch acht Jahre später beim Mauerbau der DDR. „Jeder Versuch, die Grenzen zwischen Ost und West zu verändern, hätte Krieg bedeutet“, sagte Schäuble.
„Es waren ausschließlich die Menschen in der DDR“
Die Welt war im Kalten Krieg, und wegen der Kuba-Krise habe sich ohne schon ein atomares Armageddon angekündigt. Brands-Entspannungspolitik und Schmidts Festhalten am NATO-Doppelbeschluss ob der vermeintlichen atomaren Überlegenheit der Sowjetunion seien die Grundsteine der Wiedervereinigung gewesen.
„Wäre der NATO-Doppelbeschluss nicht gekommen, hätte es auch keinen Gorbatschow gegeben“, sagte Schäuble. Als dann noch 1988 die russischen Truppen aus Afghanistan abgezogen seien, hätte die Leute hinter dem Eisernen Vorhang und in den osteuropäischen Staaten erkannt, „es bewegt sich was“ und seien mutiger geworden. Die friedlichen Montagsdemos in Leipzig und anderswo in der DDR hätten letztlich zum Ziel Wiedervereinigung geführt. „Es war nicht Kohl, es war nicht Bonn, sondern es waren ausschließlich die Menschen in der DDR“, erklärte der frühere Bundespolitiker. Als am 9. November 1989 die Mauer fiel, sei er zu Tränen gerührt gewesen, so Schäuble. Als die Ostdeutschen nach „Wir sind das Volk“ bei den folgenden Demos „Wir sind ein Volk“ skandiert habe, habe die Bonner Politik handeln müssen. Augenscheinlich auch ohne Kompromisse. „Natürlich hätte man auch sagen können, dass es unheimlich teuer wird“, sagte Schäuble.
Von Detlef Sundermann