Mentalitäts-Atlas

„Unterschätzter Faktor“: Menschen in NRW laut Studie krisenfester als im Rest von Deutschland

  • Peter Sieben
    VonPeter Sieben
    schließen

Laut einer Studie gelten Menschen im Ruhrgebiet als besonders anpassungsfähig. Dem „Mentalitäts-Atlas“ zufolge kann das ein entscheidender Standortvorteil sein.

Es gab vor Jahren mal einen Düsseldorfer CDU-Oberbürgermeister, der wollte nach eigener Aussage im Ruhrgebiet nicht mal tot überm Zaun hängen. Den überheblichen Spruch aus der Landeshauptstadt hat man tief im Westen von NRW längst vergessen und auch nie allzu übel genommen. Denn eins muss man den Ruhrgebietlern lassen: Nachtragend sind sie nicht.

Vor allem aber gelten sie als so anpassungsfähig wie die Menschen in keiner anderen Region Deutschlands. Zu diesem Ergebnis jedenfalls kommt jetzt eine Studie des Allensbach-Instituts im Auftrag des Regionalverbands Ruhr (RVR). „Die Menschen im Ruhrgebiet gelten in Zeiten des Wandels als besonders anpassungsfähig und stufen sich auch selbst besonders häufig so ein“, heißt es in einem Papier dazu.

Mentalitäts-Atlas: Menschen in NRW sind besonders anpassungsfähig

Ein Vergleich von sieben deutschen Regionen habe demnach erstmals „einen bislang unterschätzten Faktor für die Bewältigung bevorstehender Transformationsprozesse“ beleuchtet, wie es heißt: die Mentalität der Menschen. Tatsächlich ist Transformation im Ruhrgebiet seit Jahrzehnten ein Grundmerkmal der Region. Zu Zeiten der Industrialisierung wurden ländliche Dörfer zu Städten mit viel Zuwanderung aus Ost- und später Südeuropa. Nach dem Ende des Bergbaus und der Montanindustrie dann der stete Versuch, das Ruhrgebiet wieder nach vorn zu bringen. Allmählich gelingt das auch zaghaft, Städte wie Duisburg oder Bochum schicken sich an, Zentren neuer Technologiezweige zu werden – und das Kulturangebot ist schon lange riesig.

Anpassungsfähigkeit und Veränderungsbereitschaft seien dabei laut Studie wichtigste Schlüsseleigenschaften. In einem Mentalitäts-Atlas vergleichen die Studienautoren die wahrgenommenen Selbst- und Fremdbilder in sieben deutschen Regionen: Bayern, Berlin, Norddeutschland, Rheinland, Ruhrgebiet, Sachsen und Schwaben. Das Ruhrgebiet belegt demnach beim Thema Fremdbild mit 77 Prozent den ersten Platz bei der Eigenschaft Anpassungsfähigkeit – vor dem Rheinland (73 Prozent) und Berlin (74 Prozent). Abgeschlagen sind dagegen die süddeutschen Regionen und Sachsen (Schwaben 67 Prozent, Bayern 60 Prozent und Sachsen nur 52 Prozent).

AfD-Ergebnis bei Bundestagswahl in Gelsenkirchen: „Nächste Regierung braucht keinen Ost-Beauftragten“

Die Menschen im Ruhrgebiet gelten außerdem als besonders sozial kompetent. So wird dem Pott häufiger Direktheit (87 Prozent) und Offenheit gegenüber anderen Menschen (82 Prozent) zugeschrieben als den anderen Regionen.

Umso irritierender war für viele das jüngste Ergebnis der Bundestagswahl: In Gelsenkirchen hatte die AfD erstmals die meisten Zweitstimmen bekommen. Wie ist das zu erklären? „Da spielen mehrere Aspekte eine Rolle“, sagt RVR-Direktor Garrelt Duin im Gespräch mit dieser Redaktion. Erstens habe Gelsenkirchen massive Finanzprobleme und brauche dringend finanzielle Unterstützung im Sinne der Altschuldenlösung. „Die nächste Bundesregierung braucht keinen Ostbeauftragten, sondern dringend einen Beauftragten für gleiche Lebensverhältnisse“, so Duin.

Zweitens habe Gelsenkirchen aktuell ein Problem mit Zuwanderern aus Südosteuropa, von denen manche die Sozialsysteme ausnutzten. „Die Leute sehen, dass da etwas aus den Fugen gerät. Manche werden dann womöglich anfällig für vermeintlich einfache Lösungen, wie sie die AfD propagiert“, so Duin.

Metropole Ruhr – SPD-Mann Duin: „Das versteht doch keiner“

Er glaubt aber an das Potenzial der Region und setzt auf neue Ansätze, das immer noch angeknackste Image des Ruhrgebiets aufzupolieren. Jahrelang hatte sich das Ruhrgebiet als „Metropole Ruhr“ vermarktet. „Das versteht doch keiner“, sagt Duin. Man müsse vielmehr die Mentalität der Bewohner in den Fokus rücken, „das sei ein Pfund“.

Rubriklistenbild: © Ina Fassbender/dpa