Konkurrenz um Ressourcen

Psychologin erklärt: Das sind die Vorteile von Ein-Kind-Familien

  • Jasmina Deshmeh
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Ist ein Geschwisterkind ein Kind zu viel? Laut einem Professor für Soziologie ja. Denn Eltern-Ressourcen wie Zeit, Energie und Geld seien beschränkt.

Geschwister fördern soziale Kompetenzen, heißt es oft. Doch stimmt das wirklich? Oder haben sie nicht vielmehr Nachteile, weil Eltern ihre Aufmerksamkeit zwischen mehreren Kindern „aufteilen“ müssen? Geht es nach der „Verdünnungstheorie“ des Soziologen Douglas Downey ist genau das der Fall. Auch wenn die Theorie bereits 25 Jahre alt ist, könnte sie im gegenwärtigen sozialen und wirtschaftlichen Kontext zutreffender denn je sein, erklärt die Sozialpsychologin Susan Newman gegenüber der Fachzeitschrift Psychology Today.

Die Hälfte aller Familien in Deutschland sind Ein-Kind-Familien

Ein-Kind-Familien sind weltweit die am schnellsten wachsende Familiengröße. Und auch in Deutschland sind laut Statistischem Bundesamt Ein-Kind-Familien mit 50 Prozent (5,9 Mio. Familien) die häufigste Familienform. Gründe dafür gibt es viele. Sie reichen von einer bewussten Entscheidung, über begrenzte finanzielle Mittel, Krankheiten, Alter, fehlender familiärer Unterstützung, Überforderung bis hin zu Trennung und Scheidung.

Rivalität unter Geschwistern ist normal, oft geht es dabei um die Gunst der Eltern. (Symbolbild)

„Je mehr Kinder in einer Familie sind, desto weniger Ressourcen erhält jedes Kind“

Ob freiwillig oder aufgrund höherer Gewalt – tatsächlich gibt es auch gute Gründe für Eltern, auf ein Geschwisterkind zu verzichten. Denn laut dem Psychologe Douglas Downey kommt es dabei zu einer „Verwässerung“. Diese erklärt er so:

„Geschwister sind Konkurrenten um die Zeit, Energie und finanziellen Ressourcen der Eltern, und je weniger [Kinder], desto besser.“ Und: „Je mehr Kinder in einer Familie sind, desto weniger Ressourcen erhält jedes Kind.“

Douglas Downey

Stecken Eltern all ihre Ressourcen dagegen in ein Einzelkind, hätte dieses einen akademischen Vorteil und eine engere Bindung zu seinen Eltern, so der Soziologe. Das würde auch erklären, warum „Kinder mit wenigen Geschwistern bei Tests zu kognitiven Fähigkeiten besser abschneiden als Kinder mit vielen Geschwistern.“

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„Der Wettbewerb um Ressourcen zeigt sich auch unter Geschwistern auf eine Art und Weise, die Gefühle der Bevorzugung hervorruft, egal wie sehr sich Eltern bemühen, ihre Kinder gleich und fair zu behandeln“, schreibt die Psychologin Susan Newman bezogen auf die Theorie in Psychology Today. Das könne nachweislich negative Auswirkungen haben, die lange anhalten können, erklärt sie.

Was Kinder unselbstständig macht: Sieben Angewohnheiten der Eltern bremsen ihren Nachwuchs aus

Junge klettert auf dem Spielplatz und Vater kommt zu Hilfe
Mit dem Kind auf den Spielplatz gehen, wo es sich richtig schön austoben kann. Wenn dann auch noch ein tolles Klettergerüst dabei ist, noch besser. Doch für manche Eltern ist es schwer, beim Klettern ihres Kindes ruhig zu bleiben, denn es könnte ja etwas passieren, das Kind könnte herunterfallen. Natürlich ist die Fürsorge der Eltern für das Kind wichtig und unerlässlich, doch in Situationen wie diesen sollten Sie versuchen, Ihrem Kind seinen Freiraum zu lassen, ohne es zu ermahnen oder gleich zu verbieten. So kann sich das Kind ausprobieren und entdecken, was für die persönliche Entwicklung wichtig ist. Das Schönste daran: Kinder sind dann häufig so stolz auf sich selbst, wenn es ihnen gelungen ist, ohne Hilfe hochzuklettern. (Symbolbild) © Mareen Fischinger/Imago
Mutter und Vater kochen in der Küche, Sohn schaut zu
Aus Angst, es könnte sich beim Schnippeln verletzen oder es „nicht richtig“ machen, lassen Eltern dann lieber ihr Kind außen vor, anstatt es beim Kochen helfen zu lassen. Dabei ist es klug, den Nachwuchs in jungen Jahren ans Essen zubereiten heranzuführen und es wie selbstverständlich einzubinden. Zwar sollte man dann mehr Zeit einplanen, doch je früher ein Kind sich ausprobieren kann, desto eher lernt es, wird selbstständiger und ist gut vorbereitet fürs spätere Leben. (Symbolbild) © Philippe Degroote/Imago
Geschwister-Kinder streiten sich vor Mutter
Kinder, die einen Konflikt haben und sich streiten, sollten dies auch mal tun können, ohne dass die Eltern oder Erwachsene sich umgehend einschalten. In vielen Fällen löst sich die Schwierigkeit tatsächlich von alleine und von außen ist keine Hilfe vonnöten. Für die Entwicklung von Kindern ist es sinnvoll, eine gewisse Streitkultur zu erleben, sei es mit den Geschwisterkindern, mit dem Kind im Kindergarten oder auf dem Spielplatz. Und dann auch zu erfahren, wie es ist und sich anfühlt, wenn der Streit selbst gelöst werden konnte, ganz ohne die Eltern. (Symbolbild) © Angel Santamaria/Imago
Vater bindet Sohn die Schuhe
Häufig muss es in der Früh auf dem Weg in den Kindergarten oder die Schule schnell gehen. Weil Kinder noch kein richtiges Zeitgefühl haben, ist es für sie nicht so einfach, rechtzeitig fertig zu sein. Dann nimmt Mama oder Papa durchaus mal dem Sprössling das Schuhe-Anziehen ab. Einfach mal versuchen, ca. zehn Minuten eher aufzustehen und mehr Zeit in der Früh einzuplanen, sodass Ihr Kind sich im Anziehen der Kleidung und Schuhe selbst probieren kann – nur so lernt es selbstständig zu werden. (Symbolbild) © Wavebreak Media LTD/Imago
Junge bekommt Zähne von Mutter geputzt.
Beim Thema Zähneputzen möchten so manche Eltern auch lieber auf Nummer Sicher gehen und es ihrem Kind abnehmen. Schlechtes oder zu wenig Zähneputzen birgt schließlich Kariesgefahr. Doch für die Selbstständigkeit des Kindes ist es wichtig, dass es sich mit der Zahnbürste auch so früh wie möglich selbst versucht. Die Eltern können es zuvor ausgiebig zeigen und bei Bedarf helfen, indem sie noch etwas nachputzen. (Symbolbild) © Kryzhov/Imago
Mutter räumt im Kinderzimmer auf
Aufräumen ist in den meisten Familien kein leichtes Unterfangen. Das übernehmen dann nicht selten die Eltern. Dabei gilt auch hier: Je früher Sie Ihr Kind einbinden – am besten bereits im Kleinkindalter –, desto eher und selbstverständlicher wird es damit umgehen. Was nicht heißt, dass es immer wieder Phasen gibt, in denen Ihr Kind nicht aufräumen möchte – schon gar nicht die geliebten Bauklötze im eigenen Zimmer. Wichtig ist auch hier, das Kind immer wieder anzusprechen, freundlich aufzufordern, einzubinden, durchaus auch spielerisch, mit Musik, und dem Kind auch zu erklären, warum Aufräumen und Ordnung wichtig sind. So wird Ihr Kind später besser und selbstständig an die Sache herangehen. (Symbolbild) © Westend61/Imago
Mutter und Kind packen Schulranzen
Beim Schulranzen packen oder Hausaufgaben machen helfen Eltern in der Regel auch gerne – oder sie erledigen es komplett für Ihr Kind. Um ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln, ist es zwar wichtig, Ihr Kind mit den Hausaufgaben zu unterstützen und bei Fragen und Nöten da zu sein. Doch wenn Eltern die Aufgaben selbst lösen, ist dem Kind nicht wirklich geholfen. Für einen Lerneffekt muss es eingebunden werden oder es selbst probieren dürfen. Das Schuldranzen-Packen ist für die persönliche Entwicklung und das „Großwerden“ auch ein wichtiges Ritual – es kann ebenfalls gemeinsam mit Hilfe der Eltern erfolgen, das gibt Ihrem Kind Sicherheit. Mit Musik dazu macht es sogar noch mehr Spaß. (Symbolbild) © Monkey Business 2/Imago

Brauchen Kinder Geschwister für ihre Entwicklung?

Doch was ist mit der Entwicklung sozialer Fähigkeiten? Braucht es dafür nicht Geschwister? Laut Susan Newman seien die sozialen Fähigkeiten und die Persönlichkeitsentwicklung von Einzelkindern denen von Geschwisterkindern sehr ähnlich, wie mehrere Studien seit den 1980er Jahren zeigen. Einzelkinder würden dagegen bei „Leistungsmotivation und persönlicher Anpassung“ deutlich besser abschneiden, als andere Gruppen. Das hätten die Forscher Toni Falbo und Denise Polit bei der Analyse von 141 Studien herausgefunden.

Die Wissenschaft zeige, dass Eltern sich keine Sorgen machen müssen, „dass Einzelkinder Geschwister brauchen, um zu lernen, sich in der Welt um sie herum zurechtzufinden, für sich selbst einzustehen und freundlich und fürsorglich zu sein“, so Newman. Vor allem auch vor dem Hintergrund des Zeitdrucks, einer späten Familiengründung und den hohen Kosten, die durch ein Kind enstehen.

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