„Unangenehm“
„Unangenehmes Gefühl“: 37-Jährige startet Experiment, das die Abgründe von Instagram offenbart
VonFelicitas Breschendorfschließen
Die Künstlerin Kim Hoss postet Fotos mit Beauty-Filtern. In kürzester Zeit erhält sie enorme Reichweite. Inwiefern steckt der Algorithmus von Meta dahinter?
Ich hatte fast vergessen, dass ich Kim Hoss auf Instagram folge. Dann taucht die Künstlerin am 13. August wieder auf meiner Startseite auf. Nur sieht sie verändert aus: Perfekt wie eine Puppe und weniger wie ein Mensch. Wer sich auf Instagram bewegt, kann erkennen, dass sie einen Beauty-Filter verwendet. Daraufhin postet sie an mehreren aufeinander folgenden Tagen bearbeitete Fotos und Videos.
Instagram scheint ihre feministischen Inhalte weniger auszuspielen
So wie mir erging es vielen Menschen, die Hoss auf Instagram folgen. „Das ist einfach so krass, wie oft du mir jetzt angezeigt wirst. Vorher musste ich öfter mal suchen“, kommentiert eine Followerin einen Post. Darin erklärt Hoss, dass sie die Filter bewusst eingesetzt habe, als Experiment.
Seit 2018 verdient die heute 37-Jährige nach eigenen Angaben ihr Geld mit Instagram. Sie klärt über Themen wie Body Positivity und toxische Männlichkeit auf. Filter benutzte sie in dieser Zeit nicht. „Ich habe gemerkt, dass meine Reichweite sinkt, umso feministischer meine Inhalte wurden“, sagt sie BuzzFeed News Deutschland von IPPEN.MEDIA.
„Aus der Wut ist dieses Experiment entstanden“
Weniger Views bedeuten für Influencerinnen weniger Kooperationen. Ein Werbepartner soll Mitte August 2024 seine Zusammenarbeit mit Hoss fast beendet haben, weil nicht genügend Menschen ihre Beiträge gesehen hätten. Das habe sie wütend gemacht. „Aus der Wut ist dieses Experiment entstanden“, sagt sie.
Und es gelingt: Statt rund 3.000 Views (Anzahl an Personen, die Fotos auf Instagram sehen) auf ihren Stories hat sie nach einer Woche über 17.000, wie Vorher- und Nachher-Screenshots beweisen. Es scheint, als würde Instagram ihre Fotos deshalb mehr ausspielen, weil sie Beauty-Filter verwendet.
Hoss ist sich sicher, dass sie es „selbst in der Hand“ hat, was ihr ein „unangenehmes Gefühl“ bereite. „Ich weiß, wie der Algorithmus funktioniert und kann den bespielen oder verarschen.“
Organisation hält es für wahrscheinlich, dass Instagram Fotos mit Beauty-Filtern priorisiert
Hat sie recht? BuzzFeed News Deutschland fragt bei der Organisation Algorithm Watch nach, die den Algorithmus von Instagram untersucht hat. Sprecherin Naiara Bellio teilt mit, dass ihnen keine genauen Informationen vorliegen, wie die App Inhalte priorisiere. Aber: „Um die Aktivität von Nutzerinnen und Nutzern zu erhöhen, könnte der Algorithmus Bilder von Frauen bevorzugen, die sie mit bestimmten Filtern erstellt haben.“
Wir konfrontieren Meta, zu dem Instagram gehört. Das Unternehmen beruft sich auf seine Richtlinien. Darin heißt es, dass ein einziger Algorithmus nicht dafür verantwortlich sei, was Nutzerinnen und Nutzer auf Instagram sehen würden. Stattdessen seien verschiedene Signale dafür zuständig, wie oft der Beitrag ausgespielt werde. Zum Beispiel, wie beliebt er sei oder welche Interessen der Nutzer habe.
Shadowbanning passiert auch anderen Influencerinnen
Social-Media-Experte Lars Knoll glaubt, dass nicht der Filter für die hohe Reichweite verantwortlich war, sondern das Thema. „Das ist kontrovers, dadurch entstehen Interaktionen“, sagt er BuzzFeed News Deutschland. Immerhin handelt es sich um ein Experiment, das eine hohe Aufmerksamkeit erregt. Als wir Hoss davon erzählen, wendet sie ein, dass andere Influencerinnen ähnliche Erfahrungen nicht als Experiment deklarieren.
Auch Algorithm Watch sind mehrere „Vorwürfe, dass Instagram feministische Inhalte diskriminiert“ bekannt. Die Organisation spricht von Shadowbanning. So nennt man es, wenn eine Plattform bestimmte Inhalte ausblendet oder gar löscht. „Metas Vorgehen ist fragwürdig, auch wenn sich das Unternehmen auf die eigenen Richtlinien beruft“, warnt die Organisation.
Psychologin ist besorgt über die „gefährliche Entwicklung“ auf Instagram
Nach einer YouGov-Umfrage im Auftrag der AOK nutzen fast ein Drittel aller Menschen zwischen 14 und 30 Jahren Beauty-Filter. Sie zeigen reine Haut, gerade geformte Nasen und volle Lippen. „Alles, was ‚hässlich’ ist oder außerhalb der Norm liegt, wird nicht gerne gesehen. Ich würde das als moderne Hexenjagd bezeichnen“, sagt Hoss.
Psychologin Julia Tanck, die an der Universität Osnabrück zu Körperbildern forscht, spricht von einer „gefährlichen Entwicklung“. „Wenn wir nur Filter um uns herum sehen, neigen wir dazu, dieses Idealbild für die Realität zu halten“, sagt sie BuzzFeed News Deutschland.
Followerinnen von Hoss schreiben in den Kommentaren zu ihren bearbeiteten Fotos, dass sie sich mit ihrem Aussehen vergleichen. Solche Vergleiche können zu einem „total verzerrten Selbstbild“ führen, sagt Tanck. „Sie nehmen plötzlich vermeintliche Mängel wahr, auf die sie vorher nicht geachtet haben.“ Hoss zieht nach ihrem Experiment ein Fazit: „Wenn du fake bist, bist du auf Instagram erfolgreich. Wenn nicht, dann nicht.“
Rubriklistenbild: © @kim_____hoss Screenshot Instagram

