Unfair?
Forscher widerlegen ein Vorurteil über Einzelkinder
VonPia Seitlerschließen
Wann Kinder etwas als unfair empfinden und wie gut sie teilen können, hängt mit verschiedenen Faktoren zusammen. Drei Forschende haben sich das genauer angeschaut.
Eltern, Lehrkräfte und Erzieherinnen kennen das Szenario: Der sechsjährige Tim schimpft wütend, wenn sein Freund Paul mehr Süßigkeiten bekommt als er selbst. Raphael hat gar keine Süßigkeiten abbekommen – doch keiner der Jungs gibt ihm etwas ab. Lena teilt mit ihm. Am kommenden Tag hat Tim Gummibärchen dabei. Er teilt sie bereitwillig mit Lena.
Das erste Beispiel von Tim und Paul scheint typisch Jungs: Sie erkennen sehr genau, wenn sie ungerecht behandelt werden, behandeln aber im selben Moment andere Kinder genauso unfair. Mädchen dagegen sind eher bereit zu teilen. Doch im Fall der Gummibärchen ist es anders und Tim teilt doch gerne.
Ob sich das Verhalten bei mehreren Kindern zeigt und wie sich der Sinn für Fairness und Unfairness bei Kindern entwickelt, haben Tobias Kalenscher, Lina Oberließen und Marijn van Wingerden untersucht. Dafür führten sie Verhaltensexperimente mit 332 Kindern im Alter von drei bis acht Jahren durch. Die Kinder sollten sich Sticker gegenseitig zuschieben und wurden dabei beobachtet.
Neid unter Kinder ist gegenüber Jungen größer
„Wir fanden tatsächlich geschlechtsspezifische Effekte. Mädchen zeigten sich mitfühlender als Jungen. Interessanterweise gab es aber bei beiden Geschlechtern den gleichen Unmut, wenn ein Junge der Empfänger einer größeren Portion war. Dies deutet darauf hin, dass Neid gegenüber Jungen allgemein größer ist“, sagt Oberließen über die Ergebnisse der Experimente.
Jungs sind, wenn sie etwas mit Mädchen teilten, wesentlich mitfühlender als mit anderen Jungen. Sie scheinen ihrem eigenen Geschlecht gegenüber gehässiger zu sein, wählten in den Experimenten immer die größtmögliche Anzahl Sticker für sich selbst, auch wenn ihr Gegenüber dann leer ausging.
Woran das liegt, darüber kann Kalenscher nur spekulieren. „Die Umwelt spielt eine Rolle, als auch möglicherweise die Anlage. Umweltfaktoren sind sicherlich nach wie vor von Bezugspersonen vermittelte Geschlechterrollen“, sagt er BuzzFeed News Deutschland von IPPPEN.MEDIA. Eltern könnten dem neidischen Verhalten ihrer Söhne entgegenwirken, in dem sie „stärker kooperatives Verhalten bei Jungen untereinander fördern und belohnen.“
Einzelkinder sind eher bereit zu teilen als Geschwisterkinder
Bei der Fairnesseinstellung von Kindern kann es eine große Rolle spielen, ob Kinder Geschwister haben oder Einzelkind sind. „Einzelkinder sind viel mehr bereit, ihre Ressourcen mit anderen Kindern zu teilen, und sie sind auch mehr dazu bereit, Kosten dafür in Kauf zu nehmen, zum Beispiel auf eigene Sticker oder auf mehr Schokolade zu verzichten, damit andere Kinder auch etwas bekommen“, erklärt Kalenscher.
Das Alter der Geschwister spiele dabei auch eine Rolle: Junge Kinder mit älteren Geschwistern seien weniger bereit zu teilen als ältere Kinder mit jüngeren Geschwistern. Dabei komme es auf die Altersdifferenz zwischen den Geschwistern an. „Eine naheliegende Erklärung für diesen Geschwistereffekt ist, dass Geschwister um (zumindest wahrgenommene) knappe Ressourcen konkurrieren müssen, was potenziell zu einer geringeren Bereitschaft führen kann, Ressourcen zu teilen. Dies ist bei Einzelkindern nicht der Fall“, sagt der Experte.
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