Vom Straßenmusiker zum ESC-Star

ESC-Finalist Isaak Guderian: „Es ist ein Privileg in meiner Situation“

  • Katharina Heyn
    VonKatharina Heyn
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Sänger Isaak Guderian aus NRW vertritt Deutschland beim ESC 2024. Er spricht im Interview über seinen Song, die Zensur und darüber, ob er besonderen Druck verspürt.

Hamm - Isaak Guderian aus Espelkamp (NRW) tritt für Deutschland im Finale des Eurovision Song Contest (ESC) mit seinem Song „Always On The Run“ an. Im Gespräch mit wa.de spricht er über seine Beweggründe beim ESC anzutreten, die Zensur seines Songs und darüber, wer ihn nach Malmö begleitet.

Wie kam es dazu, dass Sie gesagt haben: ‚Ich versuche es und wage mich an den ESC‘?
Ich habe früher da gar nicht richtig drüber nachgedacht. Der Gedanke kam erst zustande durch meinen Song „Water to the Sea“, den ich 2021 veröffentlicht habe. Da kamen einige Kommentare auf verschiedenen Plattformen von Leuten, die gemeint haben: ‚Hey, warum tritt der nicht für uns beim ESC an?‘ Und da wurde das erstmals eine richtige Idee für mich. Und seitdem war das immer ein bisschen auf dem Bildschirm. Ich habe den Song (ESC-Song „Always On The Run“, Anm. d. Red.) mit ein paar Kumpels von mir geschrieben, und dann war klar, dass ich den sofort veröffentlichen möchte. Die Idee, mit dem Song zum ESC zu gehen, kam tatsächlich von meinem Label. Sie haben gesagt: ‚Hey, wir finden, der passt ziemlich gut zum ESC. Was meinst du dazu? Wollen wir das mal versuchen?‘
Angefangen haben Sie als Straßenmusiker in Minden. Ist der Song „Always on the Run“ durch diese Zeit geprägt worden?
Ja definitiv. Alles, was ich mache, ist durch die Straßenmusik geprägt.
Und jetzt geht es am 11. Mai zum großen Finale nach Malmö. Über 180 Millionen Menschen weltweit werden Ihren Auftritt sehen. Sind Sie sehr nervös?
Also ich freue mich da extrem drauf. Es ist eine riesige Chance, vor so vielen Menschen spielen zu können, aber mich macht das hinsichtlich meiner Performance jetzt nicht nervös. Ich bin schon einige Male in so einem Kontext, wo mehrere Leute zugucken, aufgetreten. Auch wenn es jetzt nicht Millionen Leute gewesen sind, weiß ich einfach, dass du diese Menschenmassen, die live von irgendwo zuschauen, in diesem Moment auf der Bühne gar nicht wahrnimmst. Ich mache mich da nicht irre und ich bin auch ganz froh, dass ich in dem Punkt so super gelassen bin.
ESC-Sänger Isaak Guderian in Espelkamp: Der 29-Jährige steht in seinem Garten in Frotheim mit seiner Frau Loreen. Er gewann den Vorentscheid und tritt für Deutschland am 11. Mai 2024 in Malmö beim Eurovision Song Contest in Schweden an
Deutschland ist in den vergangenen Jahren auf den letzten Plätzen gelandet. Übt das besonders Druck auf Sie aus im Hinblick auf Ihren Auftritt beim ESC?
Ich hoffe nicht, also bisher nicht. Und ich bin auch froh, dass es so ist. Mein Ziel sollte es niemals sein zu versuchen, besser als irgendwer zu sein. Sondern mein Fokus liegt einfach 100 Prozent darin, meine Performance so gut wie möglich zu machen und so authentisch wie möglich zu sein. Und solange ich das hinbekomme, werde ich mit dem Auftritt zufrieden sein, vollkommen unabhängig welchen Platz ich damit erreiche. Ich glaube, auch nur so schafft man irgendwas, indem man seine Konzentration in Dinge reinpackt, die man gut einschätzen kann und sich nicht beeinflussen lässt von Sachen, was eventuell andere Leute gerne hören oder sehen wollen würden. 
Sie dürfen bereits beim Halbfinale auftreten, ohne dass hinterher Punkte verteilt werden. Wie finden Sie das?
Das finde ich sehr, sehr schön. Also das ist zum einen eine gute Übung. Aber vor allem ist es auch einfach eine so eine schöne freie Sache. Es ist so ein Privileg in meiner Situation. Dadurch, dass ich eben zufällig Deutscher bin und zufällig Deutschland eben eines der Big Five Countries ist, darf ich da performen und habe absolut nichts zu befürchten. Da freue ich mich extrem drauf. 
Können Sie uns schon verraten, wie Ihr Auftritt aussehen wird?
Na, also was ich anhaben werde, weiß ich selber noch nicht ganz genau. Da sind wir noch am überlegen, aber ich kann auf jeden Fall schon mal versichern, dass keiner mich auf die Bühne kommen sehen wird und denken wird: ‚Oh was ist mit denn mit Isaak los?‘ Es ist mir schon wichtig, dass ich mich wohlfühle auf der Bühne. Wenn ich gut performen soll, muss ich auch komplett ich sein. Dazu gehört auch, dass ich ein Outfit trage, indem ich gerne Musik mache.
Was ist mit Tänzern oder Background-Sängern?
Tänzer werden nicht am Start sein. Aber es wird auf jeden Fall Sänger geben. Das hat einen technischen Aspekt, weil es in dem Song-Teil, den wir beim Vorentscheid benutzt haben, Dopplungen von meiner Stimme gibt, und die sind von der EBU (Europäische Rundfunkunion, Anm. d. Red.) nicht zugelassen. Deswegen nehmen wir einige Sänger und Sängerinnen mit. Die werden aber nicht so richtig zu sehen sein, sondern sorgen mehr für einen Vibe im Hintergrund, mit Silhouetten, viel Nebel und Schatten und einen düsteren Background. Wie genau das aussehen wird, werde ich selbst auch erst in Malmö sehen.
Erst vor wenigen Tagen haben Sie eine Straßenmusiker-Version des Songs veröffentlicht. Da spielen Sie auch Gitarre. Arbeitest Sie noch noch an dem Song?
Ja. Ich habe verschiedene Versionen, wie ich den Song live spiele. Es gibt so viele schöne Versionen dieses Songs. Man spielt den Song ja auch so häufig, und man will auch nicht immer wieder dasselbe machen. Mir macht es Spaß, in der Musik spielerisch sein zu können und sich ein bisschen auszuprobieren. Dadurch bleibt das Stück lebendiger, wenn man es immer wieder neu für sich selbst interpretiert.
Isaak hat im Februar den deutschen ESC-Vorentscheid überraschend gewonnen.
Kurz nach Ihrem Sieg beim Vorentscheid war klar, dass Sie Ihren Song „Always on the Run“ so nicht beim ESC singen dürfen. In einer der Strophen kommt das Wort „Shit“ vor, welches nach ESC-Regeln nicht erlaubt ist. Finden Sie die ESC-Regeln zu streng?
Ich kann es verstehen. Wenn so viele Länder mitmachen, muss man natürlich irgendwie einen Mittelweg finden. Wir sind hier in Deutschland sehr liberal, und ich genieße das. Aber ich weiß eben, dass es in einigen Ländern nicht so ist. Das wird sich auch hoffentlich irgendwann ändern, weil ich es absolut okay finde, „swear words“ (Schimpfwörter, Anm. d. Red.) zu benutzen. Ganz besonders in diesem Kontext tut man damit niemandem weh und kann trotzdem so viel Emotionen dabei rauslassen. Und es ist auch eine Wut, die ich insbesondere bei diesem Zitat irgendwie rauslasse. Und wenn man das Zitat umschreiben würde, dann würde man deutlich weniger Wut damit freilassen. Deswegen finde ich es auf jeden Fall schade, aber kann es dennoch verstehen, dass man Regeln finden muss, wo jeder konform mit geht.
Wer wird Sie nach Schweden begleiten?
Meine Frau und meine Managerin kommen auf jeden Fall mit. Vom Label wird auch jemand mit dabei sein – und meine Eltern, die sind auf jeden Fall da. Die Schwiegermama ist da, die ist eine sehr gute Freundin von mir und meiner Frau. Wahrscheinlich auch der große Sohnemann, der Louis. Den Kleinen müssen wir dann wahrscheinlich die Zeit bei unserer Tante parken, der ist erst zwei. Es ist ein riesiges Event, und er versteht auch noch nicht so richtig, was hier so passiert. Aber der Große, der will sich unbedingt diese Show live angucken. Wir kriegen das hin, dem das zu ermöglichen.

Über Isaak Guderian

Isaak Guderian ist 29 Jahre alt, hat eine isländische Mutter, wuchs in Porta Westfalica auf und lebt in Espelkamp im Kreis Minden-Lübbecke im nordöstlichen Nordrhein-Westfalen. Er ist verheiratet und hat zwei Söhne. Der Sänger ist zunächst viel als Straßenmusiker aufgetreten und nahm 2011 an der Casting-Show „X-Faktor“ teil. Bei „Show Your Talent“, einem Online-Format von Influencer Jens Knossalla, gewann Isaak 2021. Am 16. Februar konnte er sich mit seinem Song „Always on the Run“ beim deutschen ESC-Vorentscheid durchsetzen.

Schlechte Nachrichten gibt es für Fans des ESC: Rund um den Wettbewerb wird es vom NDR weniger ESC-Inhalte geben. Der Sender hat zwei Formate eingestellt.

Rubriklistenbild: © Imago / Noah Wedel