Fachkräftemangel
Gewerkschaft fordert „Berufsorientierung ab Klasse 8“ in Gymnasien
VonFelicitas Breschendorfschließen
In Deutschland fehlen etwa 20.000 Azubis. Verbände sind sich uneinig, ob Schulen etwas dagegen unternehmen müssen.
Es ist der größte Mangel an Auszubildenden seit 30 Jahren: Deutsche Betriebe haben bis Ende November 2023 zwar etwas mehr Azubis eingestellt als im Jahr zuvor, wie der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) mitteilt. Gleichzeitig blieben aber rund 20.000 Lehrstellen unbesetzt.
Um Lehrstellen zu besetzen, fordert der Handwerksverband „flächendeckende Berufsorientierung“
Eine zentrale Herausforderung bei der Besetzung von Ausbildungsplätzen sieht der ZDH in fehlendem Wissen vieler Jugendlicher über Bildungs- und Berufschancen im Handwerk. Der Verband fordert deswegen flächendeckende Berufsorientierung bundesweit an allen Schulformen inklusive der Gymnasien.
Auch Anja Bensinger-Stolze, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft für Erziehung und Wirtschaft (GEW) wünscht sich „an allen Schulen eine qualitativ hochwertige Berufsorientierung“. Das teilte sie BuzzFeed News Deutschland, ein Portal von Ippen.Media mit. Sie begründet das mit der hohen Zahl an jungen Menschen, die sich weder im Studium, noch in einer Ausbildung befinden. 2023 waren das laut BertelsmannStiftung rund 850.000 junge Menschen im Alter von 15 bis 24 Jahren. „Dabei ist das Interesse an einer beruflichen Ausbildung seit Jahren hoch und entgegen mancher Vermutungen relativ stabil“, sagt Bensinger-Stolze.
Gymnasien sollen ab der 8. Klasse Berufsorientierung anbieten
Laut der GEW-Vorständin müssen sich die praktischen Berufserfahrungen von Schülerinnen und Schüler verbessern. „Praktika müssen begleitet und ausgewertet werden. Dazu brauchen Lehrkräfte an den Schulen Ressourcen. Ebenso müssen die Betriebe sich auf Praktikantinnen und Praktikanten gut einstellen. Dann kann sich eine Berufswahlkompetenz bei den Schülerinnen und Schülern entwickeln.“
Wie der ZDH sieht der Bensinger-Stolze besonderen Handlungsspielraum bei Gymnasien. Dort hält sie eine „Berufsorientierung ab Klasse 8“ für sinnvoll. „Häufig erfolgt erst in der Oberstufe eine Studienorientierung. Deshalb ist es dringend erforderlich, in allen Bundesländern für die gymnasiale Oberstufe verbindliche Vorgaben für die Berufsorientierung und Praxiszeiten vorzusehen.“
Das ist ein Artikel von BuzzFeed News Deutschland. Wir sind Teil des IPPEN.MEDIA-Netzwerkes. Hier gibt es alle Beiträge von BuzzFeed News Deutschland.
Ist der Fachkräftemangel schuld an den fehlenden Azubis, nicht die Gymnasien?
Der Deutsche Philologenverband (DPhV) lehnt es ab, das Schulfach „Berufsorientierung“ in den Gymnasien einführen, wie die Göttinger Arbeitsagentur im Juli 2023 gefordert hatte. Vorsitzende Susanne Lin-Klitzing verweist ebenfalls auf die Bertelsmann-Studie 2023, die zeigt, dass auch ohne das Fach bereits knapp die Hälfte der Abiturienten (47,4 Prozent) eine duale oder berufsschulische Ausbildung wählen.
Den Grund, warum so viele Azubis fehlen, sieht Lin-Klitzing in der älter werdenden Gesellschaft: Es kommen immer weniger junge Menschen nach. Das führt schon jetzt zu Fachkräftemangel. „Es fehlen zukünftige Arbeitskräfte in jedem Bereich, sowohl im Bereich der akademischen wie der beruflichen Bildung“, sagt Lin-Klitzing BuzzFeed News Deutschland.
Generell hält der Philologenverband Berufsorientierung für wichtig: „Die Aufgabe des Gymnasiums ist es, neben der Vermittlung von vertiefter Allgemeinbildung, Wissenschaftspropädeutik und allgemeiner Studierfähigkeit eine berufliche Orientierung zu geben.“ Im Gegensatz zur GEW machen Gymnasien laut DPhV aber genug. Zum Beispiel nennt sie das Fach Wirtschaft/Recht, das es in Bayern gibt, sowie „zahlreichen Kooperationen und Praktika in allen Bundesländern“.
(Mit Material der dpa)
Rubriklistenbild: © IMAGO / Westend61
